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Kita-Pflicht

Priens Pseudo-Problemlösung

Die Ergebnisse des jüngsten IQB-Bildungstrends für Grundschulen werfen ein schlechtes Licht auf die Schulpolitik in Schleswig-Holstein. Um davon abzulenken, plädiert Bildungsministerin Karin Prien für die Einführung einer Kita-Pflicht.

Foto: GEW / Shutterstock
Foto: GEW / Shutterstock

Lesen schlechter. Rechnen schlechter. Schreiben schlechter. Die Ergebnisse des jüngsten IQB-Bildungstrends für Grundschulen werfen kein gutes Licht auf die Schulpolitik in Schleswig-Holstein. Um den nicht abwegigen Eindruck zu verwischen, die schlechteren Ergebnisse könnten im Zusammenhang mit ihrer Amtsführung stehen, startete die verantwortlichen Bildungsministerin Karin Prien (CDU) ein groß angelegtes politisches Ablenkungsmanöver: Nicht die Bedingungen in den Grundschulen sind das Problem. Nicht dort mangelt es an Sprachförderung. Nicht dort fehlen ausgebildete Lehrer*innen und multiprofessionelle Teams. Nein, für Frau Prien liegt die Ursache in den Kitas. Deshalb plädiert sie für die Einführung einer Kita-Pflicht.

Ablenkung von schlechten Grundschulergebnissen
Als Medienprofi ist ihr klar: Alle werden nur noch über die Kita-Pflicht reden, niemand über die von ihr politisch zu verantwortenden schlechten IQB-Ergebnisse der schleswig-holsteinischen Grundschüler*innen. Der neuen Familienministerin Aminata Touré (GRÜNE) schustert sie so die Verantwortung für Unzulänglichkeiten in der Schulpolitik zu. Sie soll die Kita-Pflicht einführen, damit die Kinder dann in der Grundschule besser lesen, schreiben und rechnen können.

Hohe rechtliche Hürden
Die Juristin Karin Prien weiß natürlich nur zu gut: Eine Kita-Pflicht lässt sich nicht so ohne weiteres aus dem Ärmel schütteln. Es gibt hohe rechtliche Hürden. Die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages schrieben dazu am 19. Oktober 2021:
„Verfassungsrechtliche Vorgaben ergeben sich insbesondere aus dem Elternrecht (Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG). Das Verhältnismäßigkeitsprinzip gebietet es grundsätzlich, individuellen Fördermaßnahmen gegenüber einer allgemeinen Teilnahmepflicht den Vorrang zu geben. Eine alle Vorschulkinder gleichermaßen betreffende Förderung könnte ggf. im Wege der Umgestaltung des letzten Kindergartenjahres zu einem Schulvorbereitungsjahr auf die nach Art. 70 Abs. 1 GG den Ländern obliegende Kompetenz für das Bildungswesen gestützt werden. Dies würde voraussetzen, dass ein solches Vorschulsystem die Anforderungen des Art. 7 Abs. 1 GG erfüllt. Die pädagogische Sinnhaftigkeit eines solchen Systemwechsels war nicht Gegenstand dieses Sachstandes.“

Keine 10 Prozent im letzten Jahr vor der Schule nicht in der Kita
Aber gerade die gehört in den Mittelpunkt der Diskussion. In Schleswig-Holstein besuchen weniger als zehn Prozent der Kinder im letzten Jahr vor Schuleintritt keine Kita. Also über 90 Prozent Zustimmung bei den Eltern für die frei gewählte Bildungs- und Betreuungsleistung in der Kita! Bei kritischer Betrachtung dürfte die Quote beim Schulbesuch trotz Schulpflicht kaum besser aussehen, wenn wir an einen Teil der Kinder aus anderen Bundesländern in Jugendhilfeeinrichtungen, durchs „System“ fallende minderjährige Geflüchtete, notorische Schulabsentist*innen sowie Jugendliche, die der Berufsschulpflicht nicht nachkommen, denken.
Entgegen der Annahme von Ministerin Prien gehen keineswegs ausschließlich Kinder vor dem Schuleintritt nicht in die Kita, die einer besonderen Sprachförderung bedürfen. Für das gesamte Bundesgebiet hat das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung aus Berlin im Jahr 2018 festgestellt: Keineswegs nur Kinder aus benachteiligten sozialen Verhältnissen bleiben vor der Einschulung der Kita fern. Einen Zusammenhang zwischen Netto-Einkommen der Eltern und Kita-Besuch der Kinder gibt es nicht. Kinder mit Migrationshintergrund starten allerdings später mit der Kita als Kinder ohne Migrationshintergrund. 88 Prozent von ihnen gingen im Alter ab drei Jahren in eine Kita, bei den übrigen Kindern waren es 96 Prozent.

Forscher*innen: Pauschale Kita-Pflicht ungeeignet
Die Gründe von Eltern, ihre Kinder nicht in die Kita zu schicken, variieren. Einige gaben an, ohnehin zu Hause zu sein und sich selbst um die Erziehung ihrer Kinder kümmern zu wollen. Andere halten ihr Kind noch nicht für reif genug für eine außerfamiliäre Betreuung. Wiederum andere fanden für ihre Kinder keinen Kita-Platz. Resümee der Forscher*innen: Eine pauschale Kita-Pflicht wäre kaum geeignet, gezielt Kinder aus sozial und wirtschaftlich schlechter gestellten Haushalten zu fördern. Nicht weiter eingehen wollen wir an dieser Stelle auf die Frage von Sanktionen bei Nichteinhaltung der Kita-Pflicht. Wie soll der Staat die Eltern dazu zwingen, ihre Kinder in die Kita zu schicken? Kindergeldkürzung? Bußgeld? Polizei? Was auch immer: Die Leidtragenden wären wieder einmal die Kinder.

Frühe Sprachförderung wichtig
Um nicht falsch verstanden zu werden: Ein Kita-Besuch ist für alle Kinder ein Gewinn, egal welchen sozialen Hintergrund ihre Elternhäuser haben. Pseudo-Problemlösungen einer politisch unter Druck geratenen Ministerin helfen aber nicht weiter, obwohl der Wunsch, Kindern möglichst früh eine qualifizierte Sprachförderung zukommen zu lassen, durchaus verständlich ist. Eine gezielte Ansprache von Eltern wäre ein erfolgversprechender Weg. Unter Berücksichtigung der Hamburger Erfahrungen könnten möglicherweise auch verpflichtende Sprachstandsuntersuchungen mit anschließenden sprachlichen Fördermaßnahmen in den Kitas ein Ansatz sein. Vielleicht ließen sich so diejenigen Kinder erreichen, deren Eltern sich gegenüber Fördermaßnahmen unwillig zeigen.

Bessere Rahmenbedingungen tun not
Wer die Sprache und damit auch die Bildungschancen unserer Kinder wirklich verbessern will, muss für bessere Rahmenbedingungen in den Kitas sorgen, damit qualifizierte Sprachförderung überhaupt möglich wird. Das heißt konkret:

  • mehr Personal,
  • kleinere Gruppen,
  • genügend Kita-Plätze,
  • mehr Personal mit Migrationshintergrund.

Solange aber Erzieher*innen vor Arbeitsbelastung nicht wissen, wo ihnen der Kopf steht, solange sich Eltern beispielsweise in Neumünster und Rendsburg über wegen Personalmangel geschlossene Gruppen beklagen, solange Eltern immer noch zu hohe Gebühren für den Kita-Besuch ihrer Kinder bezahlen, solange sollten Politiker*innen das Wort „Kita-Pflicht“ nicht einmal in den Mund nehmen.