Bildungsministerin Karin Prien gab den Schulen am Anfang des Schuljahres einen Auftrag: „70 Jahre nach der Gründung der Bundesrepublik soll 2019 zum Jahr der politischen Bildung in Schleswig-Holstein werden – das ist natürlich auch ein Auftrag an die Schulen.“ Ende August stellte sie ihre Leitlinien für eine Werte- und Demokratieerziehung an den Schulen im Land vor. Angesichts eines wachsenden Populismus und demokratiefeindlicher Tendenzen solle die politische Bildung in Schleswig-Holstein gestärkt werden. Dieses Vorhaben ist richtig und wird von der GEW begrüßt. Es stellt sich allerdings auch hier wieder die Frage, wie das Vorhaben konkret umgesetzt werden soll und wie viele Ressourcen dafür zur Verfügung stehen. Im Vergleich zu anderen Bundesländern steht Schleswig-Holstein im Bereich der politischen Bildung – zumindest statistisch – ziemlich gut dar. Dies zeigt das sogenannte Ranking politische Bildung 2017: „Wo eine Anerkennungskultur herrscht, findet man für die schulische politische Bildung deutlich überdurchschnittliche Stundentafelanteile. Das höchste Anerkennungsniveau für die gesamte Sekundarstufe I und für das Gymnasium erreichen Schleswig-Holstein, Nordrhein-Westfalen und Hessen.“Wenn man sich mit dieser Statistik allerdings genauer befasst, stellt man fest, dass für die Sek I – ohne die Sek I an Gymnasien – das Fach „Weltkunde“ als „Leitfach der politischen Bildung“ herangezogen wurde. Ob sich der „Echte Norden“ da mit Recht auf dem ersten Platz im Bereich der Sek I befindet, wage ich zu bezweifeln.
Der Didaktik-Professor Wolfgang Sander bemängelte in einem Interview mit der E&W Bund im April, dass politische Bildung zu häufig fachfremd unterrichtet werde:
„Die Gefahr ist groß, dass fachfremde Lehrerinnen und Lehrer dazu neigen, sich auf Faktenwissen zurückzuziehen oder das Fach als bloßen Meinungsaustausch misszuverstehen. Eine andere Gefahr ist, schulische Partizipation schon als politische Bildung zu verstehen, etwa wenn man denkt, ein Klassenrat vermittle schon Demokratieverständnis. Diese Art der Partizipation ist zwar gut für das Schulklima, und sie kann erfolgreich Selbstwirksamkeitserfahrungen vermitteln. Aber der Klassenrat ist eben kein Parlament im Kleinen, er entspricht nicht dem Bundestag oder einem Landtag. Demokratie ist am Ende eine politische Ordnungsform, die anders funktioniert als Partizipation im Schulalltag.“
Demokratieerziehung geht nicht ohne ein Fach für politische Bildung, aber Demokratieerziehung findet nicht nur dort statt. Vielmehr sind die Vermittlung von demokratischen Grundsätzen und Werten Aufgabe für alle Fächer, alle Schulstufen und vor allem für die Gesellschaft. „Wir“, die „mehr sind“, sind gefragt.
Unverständnis bei einigen Kolleginnen und Kollegen und mir hat die mehrfache Betonung auf Werteerziehung im DaZ-Unterricht ausgelöst. Richtig ist, dort demokratische Werte zu vermitteln. Falsch ist allerdings, dass das neu ist und erst „in Zukunft“ geschehen wird. Selbstverständlich haben die Kolleginnen und Kollegen die Vermittlung interkultureller Kompetenzen und die Grundlagen des demokratischen Verfassungs- und Rechtssystems in ihren Unterricht eingebunden und ggf. anhand dessen auch sprachliche Kompetenzen gefördert. Die wiederholte Betonung auf die Wertevermittlung im DaZ-Unterricht vermittelt den Anschein, als ob es die dort beschulten Kinder und Jugendlichen besonders nötig hätten – bestes Futter für all diejenigen, die ein Problem mit Vielfalt haben. Demokratieerziehung muss allen Schülerinnen und Schülern gleichermaßen vermittelt werden. Dies gilt insbesondere auch für den Erwerb interkultureller Kompetenz. Es geht um verstehen und verstanden werden und vor allem kann es nicht um „wir“ und „die“ gehen. „Wirsindmehr“ – wer sind „wir“? Sind „wir“ zu leise? Müssen „wir“ nicht Demokratie JETZT ausleben? Reicht es, mit Konzerten Zeichen zu setzen?