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Berufliche Bildung

Ausbildungsgarantie für alle - Jetzt!

Die Zahl der Ausbildungsplätze ist in Schleswig-Holstein leicht gestiegen, die der Bewerber*innen stark zurückgegangen. Trotzdem gingen auch 2022 wieder 1.410 Bewerber*innen leer aus. GEW und DGB fordern deshalb eine Ausbildungsgarantie.

Bei einem Blick auf die Zahlen aus dem Ausbildungsbericht der Agentur für Arbeit vom September 2022 wird die Dimension des Dilemmas deutlich: Obwohl die Anzahl der gemeldeten Ausbildungsstellen in Schleswig-Holstein leicht gestiegen ist (+ 3 %), geht die Zahl der Bewerber*innen weiter zurück (- 8 %). Und trotz dieser Entwicklung sind auch 2022 wieder 1.410 Bewerber*innen leer ausgegangen.

In Schleswig-Holstein zeigt sich hier ein sogenanntes Matchingproblem, zu dessen Erklärung zum Teil sicherlich auch die Tatsache herangezogen werden kann, dass es sich beim nördlichsten Bundesland um ein Flächenland handelt. Bundesweit hat sich im Laufe der Zeit die Zahl derjenigen, die im Alter zwischen 20 und 34 Jahren noch
ohne Berufsabschluss sind, auf über zwei Millionen aufsummiert, allein in 2022 waren es 22.690 Menschen in Deutschland . Dies hat Konsequenzen sowohl für die Betroffenen, die i.d.R. so im Niedriglohnsektor beschäftigt werden (wenn überhaupt), als auch für die Wirtschaft, der dadurch ein erhebliches Potenzialan dringend benötigten Fachkräften nicht zur Verfügung steht. Auch wenn Gewerkschaften, Politik und Vertreter*innen der Wirtschaft an einem Strang zu ziehen scheinen, über die Wege aus der Krise ist eine lebhafte Diskussion entbrannt.

Die Positionen
Die aktuelle Bundesregierung hat es sich in ihrem Koalitionspapier zur Aufgabe gemacht, dem Fachkräftemangel durch eine Ausbildungsgarantie zu begegnen. Der DGB und seine Gewerkschaften fordern diese schon seit langem. Ziel dieser Maßnahme ist es, allen Jugendlichen einen Ausbildungsplatz anzubieten. Bei unserem Nachbarn Österreich hat man bereits 2017 eine Ausbildungsgarantie eingeführt und ist mit den Ergebnissen sehr zufrieden. Die Vermittlung von dualen Ausbildungsplätzen hat auch in Österreich oberste Priorität. Dort, wo dies nicht möglich ist, weil Angebot und Nachfrage aus verschiedensten Gründen nicht zueinander passen, springt die öffentliche Hand ein: Im ersten Ausbildungsjahr findet dabei, wie in einer betrieblichen Ausbildung auch, der theoretische Unterricht in der Berufsschule statt, der praktische Teil der Ausbildung wird bei Trägern oder gegebenenfalls auch in der beruflichen Schule absolviert. Flankiert wird die Maßnahme durch Praktika, denn das oberste Ziel im ersten Ausbildungsjahr ist es, dass die Ausbildung spätestens ab dem zweiten Ausbildungsjahr in eine duale betriebliche Ausbildung mündet. Dabei und bei der Vermittlung von Praxis in der schulischen Ausbildung sollen Praktika unterstützen.

Finden die Jugendlichen im ersten Jahr bereits einen Ausbildungsbetrieb, so soll die Ausbildung dort fortgeführt und abgeschlossen werden. Nur wenn auch nach dem ersten Ausbildungsjahr keine Vermittlung in eine duale Berufsausbildung gelingt, besuchen die Jugendlichen die Maßnahme ein weiteres Jahr und schließen diese nach dem zweiten Jahr ab. Einigkeit besteht in der Erkenntnis, dass eine möglichst schnelle Vermittlung in betriebliche Ausbildungsverträge die Chancen auf dem Arbeitsmarkt
deutlich verbessern.

Arbeitsmarktexperten schätzen, dass die Ergebnisse aus Österreich hochgerechnet auf den deutschen Arbeitsmarkt bedeuten würden, dass jährlich 20.000 zusätzliche Fachkräfte für den deutschen Arbeitsmarkt zur Verfügung stünden. Aus gesellschaftspolitischer Sicht wären das 20.000 Menschen jährlich, die mit einem Erfolgserlebnis ins Berufsleben starten können und zunächst für sich einen Platz in der Gesellschaft gefunden haben. Im durchlässigen System der beruflichen Bildung eröffnen sich
ihnen hierdurch aber auch vielfältige weitere Möglichkeiten.

Dieses Modell findet aber auch Kritiker, die vor allem darum fürchten, dass es sich hierbei um einen zu starken Eingriff in den Markt handelt. Stark marktorientierte Politiker*innen aus FDP und CDU, aber auch Interessenverbände der Unternehmerschaft kritisieren, dass Jugendliche eine überbetriebliche Ausbildung einer dualen betrieblichen Ausbildung vorziehen könnten, aus Furcht, sich in Unternehmen nicht zurechtzufinden. Gerade dieses Soziale Lernen in der Praxis der Betriebe ist
aber wesentlicher Bestandteil einer dualen beruflichen Ausbildung. Außerdem sehen die Kritiker die Gefahr, dass die öffentliche Hand Ausbildungsplätze schafft, die von der Wirtschaft gar nicht, oder nicht in der angebotenen Form nachgefragt werden.

Gewerkschaften fordern: Ausbildungsgarantie jetzt!
Die Lage auf dem Ausbildungsmarkt hat sich in den zurückliegenden Jahren kontinuierlich verschlechtert. Ein „Weiter so“ ist bildungs-, wirtschafts- und gesellschaftspolitisch nicht mehr akzeptabel, die Zeit zum Handeln ist längst gekommen und das bestehende System muss dringend verbessert werden. Eine Ausbildungsgarantie liefert Lösungsansätze für viele Herausforderungen. Die politisch Verantwortlichen kämen ihrer Verpflichtung, soziale Gerechtigkeit herzustellen, einen großen Schritt näher. in der Wirtschaftspolitik zeigen die Erfahrungen aus Österreich, dass eine Ausbildungsgarantie ein wirksames Instrument ist, um Fachkräftebedarfe zu decken und Jugendlichen zu einem Berufsabschluss zu verhelfen.

Die Finanzierung eines solchen Systems kann mittelfristig aus dem System heraus geschehen. Zum einen wird die Umstellung auf eine Ausbildungsgarantie zu Einsparungen im sogenannten Übergangsbereich führen, in dem Jugendliche unterkommen, die keine Ausbildung und keine anderen Alternativen gefunden haben.
Zum anderen führt ein höherer Bildungsstand auch generell zu einem höheren Beschäftigungsstand und zu höheren Einkommen. Dadurch sinken die Transferzahlungen des Staates (Arbeitslosenunterstützung bzw. sog. Aufstocken) und höhere Einnahmen an Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen entlasten die Sozialsysteme.

Der DGB fordert zur Finanzierung der Ausbildungsgarantie einen umlagefinanzierten Zukunftsfonds, in den alle Unternehmen einzahlen, um diejenigen zu entlasten, die ausbilden. Der Anreiz, selbst auch wieder auszubilden bzw. das bestehende Ausbildungsangebot auszuweiten, steigt dadurch für alle Unternehmen. Derzeit bilden nur ca. 20 Prozent der Unternehmen in Deutschland aus, wodurch die Auswahl an möglichen Ausbildungsplätzen zu gering ist.

Flankierende Maßnahmen bleiben auch mit Ausbildungsgarantie erforderlich
Die Umstellung auf eine Ausbildungsgarantie alleine kann nicht alle Probleme am Ausbildungsmarkt lösen. Bereits existierende flankierende Maßnahmen wie ein Auszubildenden-Coaching, Jugendberufsagenturen, Ausbildungsbegleitende Hilfen, fundierte und umfassende Berufsorientierung an den allgemeinbildenden Schulen, Prüfungsvorbereitungstrainings etc. werden weiterhin notwendig sein, um den Übergang ins Berufsleben so optimal wie möglich zu gestalten und möglichst vielen Jugendlichen diese Option zu geben.

Weitere bedeutende Aspekte in dem Kontext sind Weiterbildung und Durchlässigkeit. Um Druck von den Schultern der Berufseinsteiger*innen zu nehmen, ist es ganz ausschlaggebend, dass ihnen bewusst ist, dass sie eine Entscheidung für den nächsten Schritt ihrer Karriere treffen, der aber nicht endgültig die Weichen für ihr weiteres Leben stellt.

Fazit
Das Problem ist erkannt, das Österreich-Modell weist den Weg: es muss jetzt endlich gehandelt werden, im Interesse aller.