Lehrkräftemangel
Jahrelang verschlafen
Am 10. und 11. März 2022 trifft sich in Lübeck die Kultusministerkonferenz. Auf der Tagesordnung steht auch ein Punkt, den die KMK nach Auffassung der GEW „jahrelang verschlafen“ hat: der Lehrkräftemangel.
Lübeck – Am 10. und 11. März 2022 treffen sich in Lübeck die Bildungsministerinnen und –minister zur Kultusministerkonferenz (KMK). Auf der Tagesordnung steht auch ein Punkt, den die KMK nach Auffassung der Bildungsgewerkschaft GEW „jahrelang verschlafen“ hat: Lehrkräfteeinstellungsbedarf und -angebot. Für die GEW ist klar: Der Lehrkräftemangel kommt nicht. Er ist schon da. Er wird noch schlimmer als erwartet.
Lehrerinnen und Lehrer fehlen überall in Deutschland. Einen Großteil der Verantwortung dafür sieht die schleswig-holsteinische GEW-Landesvorsitzende Astrid Henke bei der KMK. Sie sagte am Mittwoch, 9. März 2022 in Kiel: „Die KMK hat über Jahre hinweg alle Warnungen vor einem Lehrkräftemangel in den Wind geschlagen. Sie gab sich mit ihren eigenen falschen Zahlen zufrieden. Noch vor vier Jahren mussten wir uns von der schleswig-holsteinischen Bildungsministerin Karin Prien den Vorwurf der Panikmache anhören, weil wir auf den Lehrkräftemangel in Schleswig-Holstein, vor allem an Grundschulen und Förderzentren, aufmerksam gemacht haben. Heute und in den kommenden Jahren müssen das nun die Kinder und Lehrkräfte ausbaden.“
Um das Problem wenigstens jetzt mit Nachdruck anzugehen, erwartet die GEW-Landesvorsitzende von der KMK bessere Arbeitsbedingungen in den Schulen: „Damit junge Leute Lust haben, als Lehrerin oder Lehrer zu arbeiten, muss der Beruf attraktiver werden. Eine Absenkung der Pflichtstunden ist dafür ein ganz wichtiger Faktor.“ An den Universitäten müssten außerdem mehr Studienplätze bereitgestellt werden.
Dass andere Bundesländer noch viel schlechter als Schleswig-Holstein dastehen, tröstet die GEW-Landesvorsitzende nicht. Astrid Henke: „An Förderzentren fehlen bei uns rund zehn Prozent ausgebildete Lehrkräfte. An Grundschulen werden immer mehr nicht-ausgebildete oder nicht-vollständig-ausgebildete Menschen als Dauervertretung eingesetzt. Auch an Gemeinschaftsschulen, Gymnasien und Beruflichen Schulen fehlen ausgebildete Lehrerinnen und Lehrer.“
Da sich der Lehrkräftemangel nicht gleichmäßig über Regionen, Schularten und Fächer verteile, sei die Situation auch in Schleswig-Holstein vielerorts besorgniserregend. Vor allem die Kreise Steinburg und Dithmarschen sowie das Hamburger Umland seien betroffen. „Von gleichen Bildungschancen für Kinder und Jugendliche kann kaum noch die Rede sein, wenn an einer Schule ein Fünftel der Lehrkräfte nicht ausgebildet ist oder Unterricht ausfallen muss, während es in anderen Teilen des Landes relativ problemlos läuft.“ Die GEW-Landesvorsitzende plädierte deshalb dafür, Zuschläge für Lehrkräfte in Mangelregionen zu zahlen.
Von heute auf morgen ändern, ließe sich das „vom Bildungsministerium selbst gemachte Problem“ der nur schwer durchlässigen Lehrerlaufbahnen. „Lehrkräften werden gewaltige Steine in den Weg gelegt, wenn sie beispielsweise als ausgebildete Gymnasiallehrkräfte an eine Grundschule wechseln wollen. Oder sie haben finanzielle Nachteile, wenn sie ihre Ausbildung an einer Gemeinschaftsschule ohne Oberstufe abschließen wollen, obwohl sie dort dringend gebraucht werden“, kritisierte Astrid Henke.
Hintergrund:
Der renommierte Essener Bildungsforscher Professor Dr. Klaus Klemm hält die bisherigen Prognosen der Kultusministerkonferenz für unseriös. Nach seinen Berechnungen werden im Jahr 2025 an den Schulen 45.000 Lehrkräfte fehlen. Das sind mehr als doppelt so viele, wie von der KMK bisher prognostiziert wurde. Im Jahr 2030 erwartet der Bildungsforscher Klemm gar eine Lücke in den Lehrerzimmern von 81 000 Personen, fast sechs Mal so groß wie von den Kultusministerien vorhergesagt. Unberücksichtigt bleiben dabei noch die sinkende Zahl der Schulabsolventinnen und –absolventen sowie bildungspolitische Maßnahmen wie der Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung für Grundschulkinder, Lehrkräfte für Inklusion sowie Schulen mit besonderen Herausforderungen. Zu der Lücke von 81 000 fehlenden Lehrern bis 2030 kommen in seiner Prognose also noch insgesamt 75 000 Personen hinzu.