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Recht auf Ganztag

Chance vertan: Kinderschutzbund und GEW enttäuscht

2026 haben alle Erstklässler einen Rechtsanspruch auf ganztägige Bildung. Dass erst Ende 2024 ein Rahmen für die Umsetzung vorgestellt wird, hatte Karin Prien lange angekündigt. Was heute dargestellt wurde, ist desillusionierend.

„Das Präsentierte bleibt weit hinter unseren Erwartungen zurück; es bleibt vage und unverbindlich, während das Startdatum zur Umsetzung des Rechtsanspruchs bedrohlich näher rückt“, zeigt sich Susanne Günther, Landesgeschäftsführerin des Kinderschutzbundes Schleswig-Holstein, irritiert. Dabei bestünde darüber, was ein gutes Ganztagsangebot ausmache, seitens aller Fachkräfte und Expert*innen großer Konsens. „Die historische Chance, jetzt ein zukunftsfestes Konzept vorzulegen, von dem Grundschulkinder von nun an qualitativ profitieren könnten, wurde vertan. Wir fordern weiter, dass sich Schule vielmehr als Lehr- und Lebensraum weiterentwickeln muss, der auch Rückzugsmöglichkeiten für die Grundschüler*innen bereithält und außerschulische Partner wie z.B. Sportvereine aktiv einbindet. Darüber hinaus müssen Kinder ein Mitspracherecht an der Ausgestaltung des Ganztags haben – sie allein sind die Expert*innen ihres eigenen Lebens. Zudem müssen die Fachkräfte am Nachmittag in Fragen des Kinderschutzes sensibilisiert und geschult sein“, ordnet Susanne Günther unmissverständlich ein. „Aber nicht nur das: Eine echte Verzahnung des Vor- und Nachmittags im Grundschulalltag bleibt hierzulande hintenan gestellt. Allem Expert*innenwissen das zeitgemäße Lernen betreffend zum Trotz. Dabei sollte es doch um ganztägige Förderung gehen. Damit werden Bildungschancen junger Menschen nicht befördert; bestehende Bildungsungerechtigkeiten bleiben unbedacht, Chancenungleichheit unausgeglichen“, stellt die Landesgeschäftsführerin klar. 

Auch die GEW hält die von Bildungsministerin Prien vorgestellten Inhalte für ziemlich dürftig: „Nur mit guten Arbeitsbedingungen lassen sich Fachkräfte gewinnen. Das bedeutet konkret: Der Ganztag braucht existenzsichernde Arbeitsverhältnisse mit Tarifbindung für alle Beschäftigten, und zwar egal, ob Voll- oder Teilzeit“, so die GEW-Co-Landesvorsitzende Kerstin Quellmann.

Zudem erfordere die pädagogische Arbeit mit Kindern entsprechende Kompetenzen. „Pädagogik lässt sich nicht so einfach aus dem Ärmel schütteln. Da sind Fachkräfte gefragt. Diesen Aspekt vermissen wir beim heute Vorgestellten“, bemängelte die Gewerkschafterin. Vor dem Hintergrund der ohnehin angespannten Fachkräftesituation in Schleswig-Holstein habe die Landesregierung die Chance vertan, in den Jahren seit Bekanntwerden des Rechtsanspruchs systematisch Personal zu qualifizieren. „Das wird uns jetzt auf die Füße fallen.“ 

 Der Ganztag werde zudem die Arbeit von Lehrkräften vor neue Herausforderungen stellen, hob Kerstin Quellmann hervor. Absurderweise seien sie formal bisher überhaupt nicht bei der Umsetzung des Ganztags vorgesehen. „Aber wie soll das gehen? Ganztag ohne Lehrkräfte?“ fragte die GEW-Co-Landesvorsitzende. „Wir setzen uns für eine echte gebundene Ganztagsschule mit einem rhythmisierten Schultag ein. Dort wechseln sich für die Schüler*innen Lern- und Erholungsphasen ab. Diese muss jetzt schrittweise ausgebaut werden.“ In einer echten gebundenen Ganztagsschule ließen sich auch Unterrichtsangebote von Lehrkräften am Nachmittag vorstellen. „Aktuell können Lehrkräfte auf freiwilliger Basis Angebote machen. In der Praxis geschieht dies selten, auch aufgrund der ohnehin sehr hohen Arbeitsbelastung an den Grundschulen“, erklärt Kerstin Quellmann mit Nachdruck.

 Um das Zusammenspiel von Schule und außerschulischen Bildungs- und Betreuungsangeboten erfolgreich zu gestalten, hält die GEW folgende Punkte für notwendig:

  • ein kooperatives Team aus Schul- und Ganztagsleitung
  • eine Koordinationsschnittstelle, die Kompetenzen von Schule, Jugendhilfe und Sozialraum zusammenbringt
  • erfolgreiche Einbeziehung unterschiedlicher Professionen
  • kooperatives gemeinsames Bildungsverständnis aller Beteiligten.
  • angemessener Bezahlung vor allem eine angemessene Freistellung für schulische und außerschulische Leitungstätigkeiten

„Etappenziele zu definieren und die Qualität kontinuierlich auszuweiten, wäre ein entscheidender Schritt – aktuell fehlt aber sogar die Basis, um in eine Weiterentwicklung eintreten zu können. Wir fordern Bewegung statt Stillstand beim Großprojekt Ganztag - dringender denn je braucht es echten Gestaltungswillen und entschlossene Umsetzungskraft – der bloße Verweis auf die aktuelle Kassenlage kann hier kein Ausbrems-Argument sein“, bekräftigen Susanne Günther und Kerstin Quellmann abschließend.