Bildung kann nicht warten!
Beschluss der 42. Landesdelegiertenversammlung im Dezember 2015
Für die GEW und ihre Mitglieder ist es ein Gebot der Solidarität und Menschlichkeit, Menschen in Not zu helfen. Die Dimension, in der Menschen aus Not und Angst um ihr Leben nach Deutschland fliehen, hat eine neue Qualität angenommen. Die Menschen stammen überwiegend aus Kriegs- und Krisenregionen der Welt. Sie sind vom Tod bedroht oder werden aus politischen oder religiösen Gründen verfolgt. An den Kriegen und an den Zuständen in den Herkunftsländern tragen die EU-Staaten durch ihre Politik oft eine Mitverantwortung, zum Beispiel durch eine ungerechte Handelspolitik oder durch Waffenexporte.
Bildung ist das zentrale Mittel zur Integration der Flüchtlinge in unsere Gesellschaft. Bildung vermittelt grundlegende Kompetenzen für gesellschaftliche Teilhabe und für ein selbstbestimmtes Leben in Würde und in wirtschaftlicher Unabhängigkeit. Auch für Flüchtlinge und Asylsuchende gilt: Bildung ist ein Menschenrecht. Weder das Grundrecht auf Bildung noch das Grundrecht auf Asyl sind für die GEW verhandelbar.
Die Beschäftigten im Bildungswesen sind in hohem Maße bereit, sich über die ihnen bereits gestellten großen Anforderungen hinaus zu engagieren. Sie fühlen sich für diese schwierige Aufgabe aber in vielen Fällen nicht ausreichend vorbereitet und oftmals überfordert. Sie benötigen deshalb zusätzliche Unterstützung. Die bisher zur Verfügung gestellten Mittel reichen bei weitem nicht aus. Es bedarf deutlich mehr Ressourcen für die sächliche und personelle Ausstattung, um der großen Herausforderung erfolgreich begegnen zu können.
Die GEW bedankt sich ausdrücklich bei den vielen ehrenamtlichen HelferInnen für ihre Arbeit bei der Flüchtlingshilfe. Die Mithilfe von Ehrenamtlichen ist ein wichtiger Beitrag für die Integration von Flüchtlingen. In vielen Bereichen kann sie aber nicht die professionelle Arbeit von Fachkräften ersetzen. Wir erwarten, dass der Staat seinen Pflichten auf diesem Gebiet stärker als bisher nachkommt.
Um den unbeschränkten Zugang für Flüchtlinge zu Bildung von der Kita bis zur Hochschule zu gewährleisten, die Arbeit der Bildungseinrichtungen und ihrer Beschäftigten zu unterstützen und die Voraussetzungen für erfolgreiche Bildungsbiografien zu schaffen, hält die GEW eine Vielzahl von Maßnahmen für erforderlich.
Der GEW ist dabei durchaus bewusst, dass es nicht möglich ist, alle Maßnahmen sofort in vollem Umfang umzusetzen. Gleichwohl erscheint es der GEW richtig, alle aus ihrer Sicht notwendigen Maßnahmen zusammenfassend darzustellen.
Dem Bund obliegt dabei der wesentliche Teil der Finanzierungsverantwortung. Das Land Schleswig-Holstein ist aufgefordert, die vom Bund zugewiesenen Finanzmittel schnell für die vorgesehenen Maßnahmen zur Verfügung zu stellen, z.B. für zusätzliche Stellen für Lehrerinnen und Lehrer sowie in den Kindertagesstätten.
Mit der Integration von Flüchtlingen in alle Bereiche der Gesellschaft und mit der Integration von geflüchteten und schulpflichtigen Kindern in das Bildungswesen kann Deutschland einen wesentlichen Schritt in Richtung auf einer inklusive Gesellschaft gehen. In diesem Sinn lehnt die GEW Schleswig-Holstein die Einrichtung von gesonderten Schulen für Flüchtlinge ab.
Den Zugang zu Bildung an den Status der Flüchtlinge zu knüpfen oder abzuwarten, ob sie ein dauerhaftes Bleiberecht erhalten, ist aus der Sicht der GEW unzumutbar und verantwortungslos, denn: Bildung kann nicht warten! Sie ist ein Menschenrecht.
1. Sprachförderung
Die GEW unterstützt den angestrebten Ausbau der Sprachförderung an Schulen und die entsprechenden Aussagen zum Handlungsfeld „Bildung und Kultur“ im Flüchtlingspakt für Schleswig-Holstein. Die bisher vom Bildungsministerium initiierten Maßnahmen und die Bereitstellung zusätzlicher Finanzmittel für die Schulen sind richtig und zielführend.
Ein schneller Erwerb der deutschen Sprache ist vordringlich. Daher müssen Kindertagesstätten, Schulen, Berufsbildende Schulen, Weiterbildungseinrichtungen und Hochschulen personell und finanziell so ausgestattet werden, dass deutlich mehr Kapazitäten für eine individuelle und bedarfsgerechte Sprachbildung zur Verfügung stehen und die regulären Angebote unverändert aufrecht erhalten werden können.
Wenn aktuell nicht ausreichend Personal mit den nötigen formalen Qualifikationen verfügbar ist, so muss es berufsbegleitend kurzfristig Ad-Hoc-Maßnahmen und nötigenfalls Quereinstiege, mittelfristig Fort- und Weiterbildungsangebote und parallel einen entsprechenden quantitativen und qualitativen Aus- und Umbau der PädagogInnenausbildung geben.
2. Frühkindliche Bildung
Es muss rasch ein Konzept für die Begleitung der Flüchtlingskinder und ihrer Familien in den Kindertageseinrichtungen entwickelt werden. Denn der Besuch von Kindertagesstätten ist für die Integration von Flüchtlingskindern elementar. Um Flüchtlingskindern in den Kindertagesstätten aber ausreichend fördern zu können, brauchen sie mehr qualifiziertes Personal, mindestens entsprechend der bestehenden ErzieherInnen-Kind-Relation. Darüber hinaus müssen Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen erweitert werden, um zusätzliches Fachpersonal für die Sprachförderung und für den Umgang mit traumatisierten Kindern zu qualifizieren.
3. Allgemeinbildende und Berufsbildende Schulen
Es muss ein Sofortprogramm gestartet werden, um mehr Lehrkräfte mit der Befähigung „Deutsch als Zweitsprache“ zu qualifizieren. Das bisherige Konzept für den DaZ-Unterricht sollte beibehalten werden.
Die zusätzlichen schulpflichtigen Kinder und Jugendlichen und ihre zusätzlichen – insbesondere sprachlichen - Bedarfe machen es erforderlich, dass die Landesregierung den Stelleneinsparungspfad endgültig verlässt.
Um die Herausforderung durch die gewachsene Zahl von Kindern und Flüchtlingsfamilien in den Schulen erfolgreich bewältigen zu können, bedarf es des Einsatzes multiprofessioneller Teams, zu denen u.a. Lehrkräfte, PädagogInnen mit Kenntnis der Herkunftssprachen, SozialarbeiterInnen, ErzieherInnen, PsychologInnen und weitere Fachkräfte zählen.
Das IQSH muss verstärkt Fortbildungen z.B. zu Sprachstandserhebung, Sprachbeobachtung und Erstellung von individuellen Förderplänen, sprachsensiblem Fachunterricht, Erkennen und Umgang mit traumatisierten SchülerInnen sowie interkulturellen Kompetenzen anbieten.
Das Recht zum Besuch der Berufsbildenden Schule sollte bis zum Alter von 25 Jahren erweitert werden. Denn die Berufsbildenden Schulen stellen einen wichtigen Faktor dar, um Flüchtlingen den Weg in einen Beruf zu ermöglichen.
4. Hochschule
Das Studienplatzangebot muss durch eine weitere Aufstockung des Hochschulpakts ausgebaut werden. Zudem sollte es Zugangserleichterungen als GasthörerInnen geben. Auch im Hochschulbereich sollte es Angebote für gebührenfreie Deutschkurse geben. Das Hochschulpersonal muss in geeigneter Weise auf den professionellen Umgang mit heterogenen, interkulturellen Gruppen vorbereitet werden.
5. Erwachsenenbildung
Es muss einen Ausbau der Integrationskurse und der ESF/BAMF-Sprachkurse geben. Dabei sollte eine Steigerung der Attraktivität von Integrationskursen durch den Abbau prekärer Beschäftigung erfolgen.
6. Beratungs-, Betreuungs- und Unterstützungsangebote
Auf allen Ebenen sind zusätzliche Beratungs-, Betreuungs- und Unterstützungsangebote bereitzustellen, z. B. für mehrsprachige Informationen über Kindertagestätten und Schulen am Wohnort, Ausbau der schulpsychologischen Unterstützungsangebote und psychosozialen Beratungszentren/-stellen, Ausweitung der Beratungsangebote zur Anerkennung von im Ausland erworbenen Qualifikationen, Kostenübernahme der Anerkennungsverfahren und Anpassungs- bzw. Weiterqualifizierungen, Schaffung kommunaler Integrationszentren, Koordination und Beratung für ehrenamtlich Helfende.
7. Bildungsfinanzierung
Die GEW fordert Bund und Länder nachdrücklich auf, zügig ein entsprechendes Bundesprogramm zu vereinbaren, auszufinanzieren und umzusetzen.
Die GEW stellt darüber hinaus fest, dass das Bildungssystem insgesamt seit langem unterfinanziert und qualitativ und quantitativ ausbaubedürftig ist. Bund und Länder bleiben aufgefordert, für alle staatlichen Ebenen endlich eine nachhaltige Bildungsfinanzierung auf den Weg zu bringen und sicherzustellen. Die Bildungshaushalte der Länder müssen dauerhaft erhöht werden, damit die notwendigen Rahmenbedingungen für die großen Herausforderungen an das Bildungssystem - Bildung in der Migrationsgesellschaft und Entwicklung eines inklusiven Bildungswesens- vorhanden sind. Denn ein vollständig ausfinanziertes und gutes Bildungssystem für alle ist auch ein gutes Bildungssystem für Flüchtlinge.
Das bedeutet, dass alle aktuell notwendigen Maßnahmen on-top-finanziert werden müssen.