Darauf macht der BÖCKLER IMPULS der Hans-Böckler-Stiftung in seiner neuesten Ausgabe aufmerksam.
In Deutschland verbringen vor allem Studierende aus einem Elternhaus mit hohem sozialem Status einen Teil ihres Studiums im Ausland. Zu diesem Schluss kommen die beiden Bildungsforscher Nicolai Netz vom Deutschen Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW) und Claudia Finger vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB). Laut ihrer Studie stieg die soziale Selektivität von Auslandsaufenthalten vor allem zwischen 1991 und 2003 stetig an. Danach blieb die Lücke bestehen und änderte sich trotz Bologna-Reform nicht. Bei den Auslandsstipendien hat die soziale Ungleichheit bis zuletzt zugenommen.
Für ihre Berechnungen nutzten die Forscher 133.000 Fälle der Sozialerhebung der Deutschen Studentenwerke (DSW) aus den Jahren 1991 bis 2012. Die Daten dieser Umfrage, vom DZHW ausgeführt und vom Bundesministerium für Bildung und Forschung finanziert, verknüpften sie zudem mit Informationen des Statistischen Bundesamtes. Studierende mit mindestens einem Akademiker-Elternteil stuften sie als solche mit hohem Sozialstatus ein; Studierende mit Eltern ohne universitäre Bildung wurden der niedrigeren sozialen Gruppe zugeordnet.
Das Ergebnis: Im Untersuchungszeitraum waren zwischen 9 und 14 Prozent der Studierenden mit niedrigem sozialem Status im Ausland, bei denen aus privilegierten Elternhäusern waren es 12 bis 20 Prozent. Während der Abstand im Jahr 1991 noch drei Prozentpunkte betrug, vergrößerte er sich bis 2003 immer weiter und pendelte sich bei sechs Prozentpunkten ein – was den Autoren zufolge substanziell ist, wenn man beachtet, dass die Quote in diesem Jahr bezogen auf alle Studierenden bei ungefähr 17 Prozent lag.
Auch bei den Förderprogrammen – etwa dem Erasmus-Programm der Europäischen Union oder diversen deutschen Stipendien – stellten Netz und Finger soziale Ungleichheit fest. Der Anteil der geförderten Studierenden stieg zwischen 1994 und 2012 insgesamt von 29 auf 41 Prozent, doch gerade zwischen 1997 und 2000 – also parallel zum Beginn des Bologna-Prozesses – wuchs die Quote in erster Linie bei den Studierenden mit hohem sozialem Status. Die anderen Studierenden schlossen erst zwischen 2000 und 2003 etwas auf. Im Vergleich zum Jahr 1994 habe sich die Lücke zwischen den beiden sozialen Gruppen eher vergrößert als verkleinert. Laut den Forschern belegt diese Entwicklung die „kulturelle Reproduktionstheorie”, nach der zuerst Menschen mit besseren Startchancen neue Möglichkeiten nutzen und die weniger Privilegierten erst später aufschließen.