Dauerbaustelle Kita
Seit Jahren erscheint den Beschäftigten der sozialpädagogischen Arbeit in Kindertagesstätten ihr Arbeitsplatz als Dauerbaustelle. Real werden Gruppengebäude geplant und gebaut, alte Gebäude werden saniert und energetisch renoviert, es wird abgerissen und aufgebaut, gestrichen und tapeziert. Als Ausweichalternativen entstehen Wald-, Strand und Wiesengruppen, um mit Hilfe von Bauwagen z.B. die Rechtsansprüche der Eltern auf einen Kindertagesstättenplatz zu erfüllen und dadurch den Eltern die Berufstätigkeit und den Kindern den Bildungsanspruch zu ermöglichen.
Diese Baustellen sind Ausdruck der realen Bedarfe an Plätzen und die KiTa–Träger schauen mit gemischten Gefühlen auf diese Lage: Es wird Beton – Gold generiert und es entstehen Gebäude, die multifunktional sind und vielfache Nutzungsmöglichkeiten beinhalten. Allerdings nutzen die besten Häuser nichts, wenn die Aufgaben, die darin erfüllt werden sollen, nicht gewährleistet werden können: die Erziehung, Bildung und Betreuung von Kindern ab dem ersten Lebensjahr.
Der Fachkräftemangel nimmt stetig zu
Die Anzahl der Beschäftigten ist in den letzten Jahren aber bei weitem nicht in dem Maße angestiegen wie die tatsächlichen Bedarfe sich gegenwärtig abzeichnen. Der Fachkräftemangel nimmt stetig zu. Vielerorts finden die Kita-Träger keine sozialpädagogischen Fachkräfte mehr. Stellen bleiben unbesetzt, Krankheitsvertretungen sind nicht zu organisieren, was wiederum zu einem erhöhten Krankenstand führt. Dies zeigt unter anderem die im letzten Jahr vom Kita-Aktionsbündnis in Auftrag gegebene Studie zu Personalausfällen in Kindertagesstätten. Danach arbeiten viele Kindertagesstätten unterhalb der gesetzlichen Mindeststandards, der Krankenstand ist mit durchschnittlich 17,2 Tagen / Jahr überproportional hoch. Die Beschäftigten in den Kitas arbeiten am Limit.
Und die Anforderungen steigen
Zudem haben die Veränderungen in der Arbeitswelt für ErzieherInnen die Tätigkeit nicht einfacher gemacht. Im Gegenteil. In den letzten Jahren sind neben der generellen Erfüllung der qualitativer Standards von Erziehung, Bildung und Betreuung von Kindern und Jugendlichen auf die Beschäftigten hinzugekommen, so z.B. verschiedenste Formen der Dokumentation des pädagogischen Alltags, verpflichtende Begleitung der Eltern, Wahrnehmung des Wächteramts in Fragen des Kindeswohls, gezielte Sprachförderung.
Diese Baustellen sind lange bekannt. Seit Juni 2017 steht nun die Jamaika-Koalition (CDU, FDP, Grüne) vor der Aufgabe, diese Baustellen zu Schlaustellen zu machen. Schlaustelle meint hier, dass das Handeln der neuen Regierung von dem Streben geprägt sein soll, dass die o.g. Herausforderungen schlau zu Gunsten der Kinder, ihrer Eltern und der Beschäftigten gelöst werden müssen.
Deswegen soll an dieser Stelle einige Punkte aus dem Koalitionsvertrag näher beleuchtet werden.
Bereich der Kindertagesstätten bleibt im Sozialministerium und soll finanziell besser ausgestattet werden
Zunächst einmal positiv bewertet die GEW, dass der Bereich der Kindertagesstätten auch in Zukunft im Sozialministerium verbleibt, geführt vom Freien Demokraten Dr. Heiner Garg. Im Koalitionsvertrag und in der Regierungserklärung sind viele wichtige Felder der zukünftigen Sozialpolitik benannt worden. Die GEW begrüßt die Bereitstellung von insgesamt 170 Millionen Euro für den Bereich der frühkindlichen Bildung. Laut Landesregierung sollen dabei bis zum 2022 jeweils 50 Millionen Euro zur Entlastung der Eltern und Kommunen eingesetzt werden, die Investitionen in die Qualität sollen um 70 Millionen steigen. Das hört sich zunächst einmal gut an. Dabei beschreibt die neue Landesregierung eine Reihe von Maßnahmen, die sie in den nächsten fünf Jahren umsetzen möchte. Allerdings bleiben viele Dinge aus unserer Sicht noch zu unklar und müssen in nächster Zeit inhaltlich konkretisiert werden.
Verbesserungen der Arbeitsbedingungen noch nicht konkret
Den größten Handlungsbedarf sieht die GEW an erster Stelle bei den Arbeitsbedingungen der Beschäftigten in den Kindertagesstätten. Kindertagesstätten müssen endlich grundlegend auskömmlich finanziert werden, der Fachkraft-Kind-Schlüssel muss deutlich verbessert werden. Nur bei einem fachgerechten Fachkraft-Kind-Schlüssel können die Beschäftigten die an sie gestellten Aufgaben auch erfüllen. Deswegen reicht die im Koalitionsvertrag angestrebte Festschreibung der zweiten Fachkraft für die Nachmittagsbetreuung bei weitem nicht aus. Aus Sicht der GEW sollten generell zwei ständige Fachkräfte ganztägig in den Elementargruppen eingesetzt werden.
Gerade in Zeiten des immer stärker werdenden Fachkräftemangels benötigen wir deutliche Verbesserungen der Arbeitsbedingungen, und zwar damit sich mehr Personen für den Beruf der Erzieherin oder des Erziehers entscheiden, aber auch damit die Beschäftigten länger im Beruf bleiben. Zu besseren Arbeitsbedingungen gehören neben der verbesserten Personalbemessung vor allem auch angemessene Leitungsfreistellungen, eine ausreichende Zahl an Fort- und Weiterbildungstagen sowie eine Berücksichtigung der Vor- und Nachbereitungszeiten. Die GEW begrüßt daher ausdrücklich die Ankündigung der Landesregierung, die Vor- und Nachbereitungszeiten sowie die Leitungszeiten verbindlich zu verbessern. Allerdings fehlt uns hier noch die Konkretisierung. Aus Sicht der GEW sind 25 Prozent der Arbeitszeit als mittelbare Arbeitszeit anzurechnen.
Die Ankündigung der Landesregierung, Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu fördern und für die Eltern die Angebote vor Ort passgenau organisieren und ausreichend Ganztags- und Randzeitenangebote schaffen zu wollen, erachten wir zunächst einmal als positiv. Denn bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf hapert es mancherorts, gerade in ländlichen Gebieten, doch noch sehr. Doch auch „Randzeiten“ müssen personell abgedeckt werden und entsprechend im Stellenplan mit ausgebildetem Personal berücksichtigt werden.
Kritisch betrachtet wird das Vorhaben der Landesregierung, das letzte Kita-Jahr zu einem „Startchancenjahr“ zu entwickeln, in dem eine Vorbereitung auf den Schulalltag enthalten soll. Schon jetzt werden Kinder in Kitas „auf Schule vorbereitet“ (nicht nur im letzten Jahr des Kita-Besuchs), dazu braucht es kein neues Programm. Vorschule war gestern.
Die Qualität der Ausbildung darf nicht abgesenkt werden
Auf Ablehnung stößt bei der GEW die geplante Einführung einer dualen Ausbildung. Die in den letzten Jahren deutlich gestiegenen Anforderungen an die Beschäftigten in Kindertagesstätten müssen sich auch in der Qualität der Ausbildung widerspiegeln. Dieses sehen wir in der bewährten ErzieherInnen-Ausbildung am ehesten gewährleistet. Darüber hinaus würde ein duales Ausbildungssystem de facto auch das Ende der Einstufung im deutschen Qualifikationsrahmen (DQR) Stufe 6 bedeuten (duale Ausbildungen werden in DQR 4 eingestuft). Auch besteht die Gefahr, dass eine duale Ausbildung bei einem Anstellungsträger mit nur einem sozialpädagogischen Arbeitsfeld (z.B. ausschließlich Kita) für die Beschäftigten zu einem Sackgassenberuf wird. Auf mittlere Sicht sollte die Ausbildung der Kita-Fachkräfte sogar auf Hochschulniveau stattfinden, um den pädagogischen Anforderungen auf Dauer gerecht werden zu können.
Am 4. Juli 2017 brachten die drei Regierungsparteien einen „Antrag zur Neuordnung der Kitagesetzgebung“ in den Landtag ein. In diesem wird die Landesregierung aufgefordert, bis April 2018 Eckpunkte für eine Reform des Kita-Systems zu entwickeln. Diese betrifft sowohl die Finanzierung als auch qualitative Standards. Zur Frage, wer an der Erarbeitung der Reform beteiligt sein soll, heißt es in dem Antrag: „Dies kann nur im Gespräch mit allen beteiligten Akteuren geschehen“. Da es bei der Reform neben der reinen Finanzierung eben auch um die Qualität der Kindertagesstätten geht, gehen wir davon aus, dass auch die GEW an diesem Prozess aktiv beteiligt wird. Denn es sind die Beschäftigten, deren Arbeit hauptsächlich die Qualität von Einrichtungen prägen.
Aus Sicht der GEW liegen viele Schwierigkeiten im Detail, die von den Verantwortlichen gelöst werden müssen. Die GEW wird die nächsten Schritte genau beobachten.