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Gemeinschaftsschule

Gemeinschaftsschulen stärken – aber keine Rolle rückwärts!

Dem schleswig-holsteinischen Landtag liegt ein Gesetzentwurf zur Einführung von abschlussbezogenen Klassen in den Gemeinschaftsschulen vor. "Nein!", sagt dazu die GEW, weil das dem gemeinsamen Lernen entgegen steht.

Alle Jahre wieder … werden Vorschläge zu einer Schulgesetznovelle von Abgeordneten oder Regierungen in den bildungspolitischen Äther geblasen. Jetzt neu der Vorschlag der AFD, an den Gemeinschaftsschulen abschlussbezogene Klassen zu ermöglichen. Damit haben sie einen Konfliktpunkt in der Jamaika-Koalition aufgegriffen und versuchen, daraus Kapital zu schlagen. 

Es sind die vielfältigen Herausforderungen und die für diese Aufgaben schlechte Ausstattung, die die Kolleginnen und Kollegen an den Gemeinschaftsschulen auf dem Zahnfleisch gehen lässt. Es sind diese schlechten Bedingungen, die manche Kollegin oder manchen Kollegen vermutlich „Oh, ja“ rufen lässt. Eine eigene Klasse für Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf, für Kinder mit Migrationshintergrund, für die mit psychischen Störungen, für die mit schlechten Startbedingungen, die mit dem Berufsziel Hartz 4 zur Schule gehen … Aber es ist wie mit dem Wetter: immer Sommer ist ganz schön, aber nicht gesund und auf Dauer schädlich!

Die GEW lehnt den mit der Drucksache 19/1107 vorgelegten Gesetzentwurf zur Änderung des Schulgesetzes und der Änderung des § 43 Schulgesetz, um die Möglichkeit zur Einrichtung abschlussbezogener Klassenverbände zu schaffen, klar ab.

Die Einrichtung abschlussbezogener Klassen widerspricht den Zielen der Gemeinschaftsschule. Die Gemeinschaftsschule hat das Ziel, durch das längere gemeinsame Lernen jede Schülerin bzw. jeden Schüler zu den individuell erreichbaren Schulabschlüssen zu führen. Es kann verwiesen werden auf die Ergebnisse diverser wissenschaftlicher Studien, die eine frühe Selektion für das international auffällige schichtspezifische Auseinanderklaffen der Testleistungen deutscher Schülerinnen und Schüler verantwortlich machen.[1] Sie verhindert breit angelegte Bildungszugänge und damit eine Steigerung der Anzahl höherer Bildungsabschlüsse.

Der Bildungsforscher Hattie hat in seiner 2009 veröffentlichten Studie die Wirkung einer leistungsorientierten Aufteilung der Schüler*innenschaft untersucht (Ability tracking) und lediglich minimale Effekte auf die Lernergebnisse festgestellt, jedoch große Auswirkungen hinsichtlich der Bildungsgerechtigkeit. Wenn überhaupt positive Effekte nachgewiesen wurden, dann für die leistungsstärkeren Schülerinnen und Schüler, während für leistungsschwächere Schüler nachteilige Effekte erkennbar wurden.[2] Abschlussbezogene Klassen stellen daher genau keine Möglichkeit dar, auf die unterschiedlichen Leistungsmöglichkeiten der Schülerinnen und Schüler einzugehen. Sie manifestieren Unterschiede und verhindern Bildungsgerechtigkeit.

Nach Auffassung der GEW muss die Differenzierung in allen Klassenstufen an den Lernvoraussetzungen der Schülerinnen und Schüler ansetzen und nicht an vermeintlich anzustrebenden Schulabschlüssen. Dies würde eine Reduzierung der angebotenen Lerninhalte für vermeintlich schwächere Schüler*innen zur Folge haben. Dieses schränke die Rechte der Kinder auf Bildung unzulässig ein und wird von der GEW abgelehnt.

Die Entscheidungen der Schulträger und der Schulen zur Einrichtung der Gemeinschaftsschulen entstand nach einem langen Diskussions- und Beteiligungsprozess. Schulträger haben sich entschieden für die Einrichtung von Gemeinschaftsschulen, um den Kindern und Jugendlichen in allen Regionen bessere Zugänge zum mittleren Schulabschluss und zur Hochschulreife zu ermöglichen.  Diese würden durch die Gesetzesänderung konterkariert. Erste positive Effekte in Bezug auf die Bildungsabschlüsse sind dem Bildungsbericht der Landesregierung 2017 zu entnehmen.[3] Weitere Untersuchungen zu den Effekten der Gemeinschaftsschule in Schleswig-Holstein sollten umgehend angepackt werden.
Außerdem würden die Schulen erneut in langwierige Strukturdiskussion gestoßen, die die Arbeitszeit der Lehrkräfte in Konferenzen bindet anstatt sie für pädagogische Arbeit zu nutzen. Eine erneute Schulstrukturdiskussion ist überflüssig. Die aktuelle gesetzliche Regelung bietet den Schulen verschiedene Möglichkeiten der Differenzierung.

Es fehlt aus Sicht der GEW nicht an gesetzlichen oder rechtlichen Änderungen, sondern an einer ausreichenden Ausstattung der Schulen, damit die Lehrkräfte die Schüler*innen hinreichend individuell fördern können. Es fehlt an der notwendigen Ausstattung, die die Schulen für die Umsetzung der erarbeiteten Konzepte benötigen.

Deshalb fordern wir die Wiederrückgewährung der sechsten Differenzierungsstunde, die Reduzierung der Pflichtstunden der Lehrkräfte, um den Kindern und Jugendlichen besser gerecht zu werden, die Verringerung der Klassengrößen.

Die Gemeinschaftsschulen bedürfen einer deutlich besseren Ausstattung, um im Zweisäulenmodell ein Standing als attraktive Alternative zum Gymnasium zu entwickeln. Stetig neue Aufgaben im Hinblick auf Inklusion, auf den Unterricht von geflüchteten Kindern und Jugendlichen, die deutlich höhere Pflichtstundenzahl als an Gesamtschulen anderer Bundesländer oder an Gymnasien, die Integration von Rückläufern oder schrägversetzten Gymnasialschüler*innen – all dieses erschwert die Arbeit an Gemeinschaftsschulen – aber all dieses wird nicht gelöst durch abschlussbezogene Klassen, sondern nur durch eine bessere Ausstattung der Gemeinschaftsschulen.

Statt einer Rolle rückwärts brauchen wir attraktive und gute Arbeits- und Lernbedingungen, um Schüler*innen, Eltern und Lehrkräfte  für die Gemeinschaftsschulen zu begeistern. Dafür müssen die erforderlichen Ressourcen bereitgestellt werden.

Astrid Henke

 


[1] Deutsches PISA-Konsortium (Hrsg.) 2001: PISA 2000. Basiskompetenzen von Schülerinnen und Schülern im internationalen Vergleich, S. 360

[2] Hattie, J. A. C. (2009). Visible learning: a synthesis of meta-analyses relating to achievement. New York: Routledge.

[3] Ministerium für Schule und Berufsbildung 2017: Schulische Bildung in Schleswig-Holstein 2017