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Ein Trip zum Bundesverfassungsgericht – ein subjektiver Eindruck

Darf eine Beamtin sich mit einem Streik gegen Arbeitszeiterhöhungen wehren? Oder: Darf ein Beamter mit Streiks für Gehaltserhöhungen eintreten? Diese Fragen verhandelte das Bundesverfassungsgericht am Mittwoch, den 17.01.2018 in Karlsruhe.

Es ging dabei auch um „unseren“ Streik gegen die Pflichtstundenerhöhung im Jahr 2010.

Nach einem langen Weg durch die juristischen Instanzen hatten sechs KollegInnen aus Schleswig-Holstein mit Unterstützung der GEW Verfassungsbeschwerde eingelegt gegen die Verweise, die das Bildungsministerium gegen sie verhängt hatte. Einer dieser Fälle kam nun mit drei Fällen aus anderen Bundesländern zur Verhandlung. Grund genug sich auf den Weg zu machen in den Süden des Landes.

Eigentlich war allen Beteiligten – den Richtern des Bundesverfassungsgerichts, den beklagten Ländern und den KlägerInnen – nach den diversen Urteilen zur nicht Amtsangemessenheit der Besoldung in den vergangen Jahren mehr oder weniger klar:  Es funktioniert nicht mehr so recht mit der Alimentation und der Fürsorge des Staates für die Beamtinnen und Beamten.

Soll es wirklich bei der einzigen Lösung bleiben, dass Beamte ihre Besoldung einklagen? Welche Konsequenzen sind für die Beamtenrechte in Deutschland aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zu ziehen? Klar und deutlich hat der EGMR im Jahr 2009 festgestellt: Auch BeamtInnen kann das Streikrecht und das Recht auf kollektive Vereinbarung der Arbeitsbedingungen als Menschenrecht nicht einfach aberkannt werden.

Beeindruckend wie da gerungen wurde auf Seiten des Bundes und der Länder. Bundesminister de Maiziere, die Bildungsministerin Prien und die VertreterInnen der andern Bundesländer legten sich mächtig ins Zeug. Dank des Streikverbots stünde das öffentliche Schulwesen auf solidem Fundament. Ministerin Prien bemühte sogar den Deichgrafen von Theodor Storm. So wie er die Deiche schütze, so bildeten der Beamtenstatus und das Streikverbot einen ideellen Schutzwall gegen Erosion. Die Schulpflicht und das Recht auf Bildung seien nur durch ein Streikverbot zu gewährleisten.

Ganz so einfach wollten die Richter es sich nicht machen. Der Vorsitzende Richter Voßkuhle befragte die Vertreterin der sächsischen Landesregierung ganz genau. Denn in Sachsen streiken die Lehrkräfte regelmäßig in Tarifrunden, da sie tarifbeschäftigt sind. Von Erosion keine Spur. Trotz der Teilnahme von ca. 50 Prozent der Lehrkräfte an den Streiks sind weder Prüfungen noch die Bildung gefährdet. Die Streiks stehen dem Spitzenplatz bei PISA nicht entgegen.

Gegen eine Differenzierung von BeamtInnen mit unstrittig hoheitlichen Aufgaben, wie zum Beispiel  bei Polizei und Militär und solchen, bei denen die Wahrnehmung hoheitlicher Aufgaben wirklich und wahrhaftig angezweifelt werden darf, wie zum Beispiel   Lehrkräfte, sprach sich nachdrücklich Bundesinnenminister de Maiziere aus. Für ihn sei eine derartige Differenzierung kein Weg. Wer die Vorteile des Beamtenstatus in Anspruch nehmen wolle, müsse dafür auf das Streikrecht verzichten. Man könne ja selbst entscheiden, ob man sich verbeamten lassen wolle. Da stellt sich dann die Frage: Kann das Menschenrecht auf Streik wirklich abgekauft werden? Die VertreterInnen der Gewerkschaften sagten: „Nein, das Streikrecht ist ein Menschenrecht und man kann es sich nicht abkaufen lassen!“

Sowohl die Arbeitgeberseite als auch die Gewerkschaftsseite mit GEW , DGB und verdi hatten ProfessorenInnen, Sachverständige und JuristInnen bemüht um ihre Positionen und Sichtweisen deutlich zu machen.

Ist ein Streik eine versuchte Nötigung? Oder ist es ein demokratisches Mittel um die verschiedenen Interessen von Beschäftigten und Arbeitgebern auszugleichen? Hat die Rechtsprechung des EGMR Bedeutung für unsere Verfassung und unser Beamtenrecht? Wie kann es sein, dass 15 – 20 Prozent der Lehrkräfte in Schleswig-Holstein als Tarifbeschäftigten ein Streikrecht zuerkannt wird, während den anderen dieses Menschenrecht verwehrt wird?

Auch der Beamtenbund legte sich ins Zeug, und zwar nicht für die Rechte der Beamtinnen und Beamten, sondern um das Streikrecht abzuwenden.

Der Trip Kiel – Karlsruhe und zurück in 33 Stunden war anstrengend, aber sehr spannend. Die Spannung bleibt: Das hohe Gericht berät intern weiter. In einigen Monaten gibt es dann voraussichtlich bekannt, ob es der Auffassung ist, dass das Beamtenrecht weiterentwickelt werden muss oder nicht. Die Richter entscheiden damit auch darüber, ob verbeamtete Lehrkräfte sich gegen Pflichtstundenerhöhungen mit einem Streik zur Wehr setzen dürfen oder ob sie sich die Wiedereinführung des Weihnachtsgeldes erstreiken dürfen. Sie entscheiden aber auch darüber, ob der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte sich noch einmal mit dem Recht der Beamtinnen und Beamten in Schleswig-Holstein befassen muss. Ich wage keine Prognose! Ein Trip nach Straßburg? Ich hoffe nicht, aber sicher auch sehr interessant!